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Walter Baier: „Eine mehr als unglückliche Entscheidung zur falschen Zeit!“

In seinem Rundbrief vom 1. Februar 2021 schreibt der Vorsitzende der Bayerischen Direktorenvereinigung:

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
selten hat in den letzten Monaten ein KMS für so viel Aufregung gesorgt wie der Beschluss der Staatsregierung, die Schülerinnen und Schüler der Q12 ab dieser Woche wieder im Wechselbetrieb in halber Besetzung in die Schulen zurückzuholen. Die Reaktionen aller Mitglieder der Schulfamilie, die uns erreicht haben, waren geprägt von Unverständnis bis hin zu unverhohlen geäußerter Empörung. Denn darin waren sich die Schülerinnen und Schüler der Abschlussklassen, deren Eltern, die Kursleiterinnen und Kursleiter sowie die Schulleitungen einig: Dies war eine mehr als unglückliche Entscheidung zur falschen Zeit. Was bei aller Kritik durchaus positiv gesehen wird, ist die Möglichkeit, ab sofort Schulaufgaben in ganzen Kursen schreiben zu können.
Vollkommen überraschend kam der Schritt eigentlich nicht, hatte doch Ministerpräsident Söder schon die Woche zuvor angekündigt, dass die Abschlussklassen im Wechselbetrieb wieder in die Schulen zurückkehren sollen, wenn es das Infektionsgeschehen zulässt. Es gibt in Bayern immer noch Gegenden mit viel zu hohen Inzidenzwerten. In einer Zeit, in der Mutationen des Virus vielen Politikern Sorgen bereiten und sie deshalb ausdrücklich vor vorschnellen Lockerungen im derzeitigen Lockdown warnen, hat die Entscheidung dann doch für einiges Kopfschütteln gesorgt.

Forderung nach Distanzunterricht für alle oder Wechselunterricht für alle
Die allermeisten Schulen empfinden jetzt die Rückkehr zum Wechselunterricht in halben Gruppen als eindeutigen Rückschritt. Natürlich ist Präsenzunterricht besser als Distanzunterricht. Was sich der überwiegende Teil der Schulfamilie an den bayerischen Gymnasien aber wünscht, ist: Distanzunterricht für alle oder Präsenzunterricht für alle. Der Wechselunterricht ist für die Lehrkräfte nicht nur die organisatorisch schwierigste und anstrengendste Variante, sie bringt vor allem den einzelnen Schülerinnen und Schülern im Schnitt am wenigsten Gesprächszeit mit ihren Lehrkräften. Gerade diese Variante werden wir aber wohl in den nächsten Wochen und Monaten organisieren und durchführen müssen. Dazu kommt noch, dass sich nicht wenige Schülerinnen und Schüler der Abschlussklassen Sorgen machen, weil sie sich ihrer Meinung nach jetzt kurz vor den Abiturvorbereitungen einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt sehen. Es ist richtig, dass aus dem Kreis der Schulen immer wieder gefordert wurde, dass die Abschlussklassen möglichst schnell in den Präsenzunterricht zurückkehren können. Das bezog sich aber in erster Linie auf die Rückkehr der vollständigen Kurse.

Abi-Vorbereitung wird nun eher gebremst.
Der Distanzunterricht mit einer funktionierenden Mebis-Plattform und stabilen Videokonferenztools hat sich seit Ende der Weihnachtsferien dermaßen positiv entwickelt, dass der Wechselunterricht gerade für die Oberstufe nicht mehr die bessere Variante darstellt. Vielmehr besteht die Gefahr, dass die Vorbereitung auf das diesjährige Abitur in den kommenden Wochen durch die sich aus dem Wechselunterricht ergebenden Einschränkungen im Distanzunterricht eher gebremst wird. Nach unserer Kenntnis sind bereits zahlreiche Schreiben von Schüler- und Elternvertretungen an die Staatsregierung unterwegs, mit der dringenden Aufforderung, diese Entscheidung noch einmal zu überdenken. Gerade Schulen, die nicht über ein leistungsstarkes W-LAN und über einen Breitbandanschluss verfügen, sind nicht in der Lage, den Unterricht der Präsenzgruppe an die andere Hälfte zu Hause zu übertragen. Im Distanzunterricht konnten die Lehrerinnen und Lehrer von zu Hause aus den gesamten Unterricht nach Stundenplan für die ganze Unterrichtsgruppe erteilen. Die Effizienz und der Lernerfolg dieser Form des Distanzunterrichts kommen dem eigentlichen Präsenzunterricht mit der ganzen Klasse von allen bisher durchgeführten Varianten am nächsten.

Negative Auswirkungen für alle Jahrgangsstufen
Auch die anderen Jahrgangsstufen werden diese Einschränkungen ab jetzt zu spüren bekommen. Wenn die Lehrkräfte in vielen Fällen zwischen Schule und Zuhause hin und herpendeln müssen, können sie nicht gleichzeitig Unterricht halten. Die mühsam aufgebauten Strukturen, für die die Schülerinnen und Schüler und deren Eltern im Moment sehr dankbar sind, gehen zum Teil verloren. Sollten Mitte Februar nacheinander einzelne Jahrgangsstufen in den Wechselunterricht aufgenommen werden, wird sich die Situation für alle Beteiligten noch einmal verschlechtern. Eine gewisse Entspannung würde erst dann wieder eintreten, wenn sich alle Klassen und Kurse im Wechselunterricht befinden. Eine Mischung aus Wechselunterricht für die einen und gleichzeitig Distanzunterricht für die anderen ist praktisch nicht möglich und erzeugt Verunsicherung und im schlimmsten Fall Chaos. Hätte man dies vorher mit uns besprochen, hätte man sich einigen Ärger ersparen können. Vor dem Hintergrund der immer wieder beschworenen Eigenständigkeit der Schulen wäre eine gewisse Flexibilität angebracht gewesen. Man hätte es den Gymnasien freistellen sollen, ob sie ihre Schülerinnen und Schüler der Q12 im Wechselbetrieb in die Schulen holen oder beim Distanzunterricht bleiben wollen. Natürlich wäre es auch in diesem Fall nötig gewesen, dass
die noch ausstehenden Schulaufgaben in der Q12 unter Berücksichtigung der geltenden Hygienebestimmungen in der Schule geschrieben werden können.

Intensiverer Kontakt zu Kultusminister und Ministerpräsident
Abgesehen davon, dass Schulleiterinnen und Schulleiter letzte Woche wieder einmal sehnsüchtig auf Nachrichten aus dem Kultusministerium gewartet haben, muss man feststellen, dass sich das Ministerium darum bemüht, den Kontakt mit den Verbänden der gymnasialen Schulfamilie nicht nur aufrecht zu erhalten, sondern sogar noch zu intensivieren. In regelmäßigen Abständen finden Videokonferenzen der gymnasialen Schulfamilie mit Minister Piazolo statt, bei denen auch die BayDV vertreten ist. Auch eine größere Runde mit Vertretern aller Schularten ist bereits mehrfach zu einem Austausch mit Ministerpräsident Söder zusammengekommen. Wir alle wissen, dass bei schulartübergreifenden Entscheidungen in Zeiten der Pandemie auch andere Ministerien, insbesondere das Gesundheitsministerium, involviert sind. Dies verzögert so manche Entscheidungsfindung. Man sollte andernorts aber auch bedenken, wie viel Vorlauf jede Systemänderung an der Schule braucht, einschließlich der Kommunikation mit dem Lehrerkollegium, den Schülerinnen und Schülern sowie den Eltern. Deshalb sind wir auf eine schnelle und verlässliche Kommunikation angewiesen.

Klare Perspektive für Q11 gefordert
Ich kann Ihnen versichern, dass der Vorstand der BayDV in permanentem Austausch mit der Gymnasialabteilung steht, dass wir Ihre Sorgen und Wünsche an die Verantwortlichen weitergeben und dass dies in gegenseitigem Vertrauen und Anerkennung unserer fachlichen Expertise geschieht. Was wir jetzt dringend brauchen, sind z. B. notwendige Regelungen für den Schulsport in der Oberstufe, eine Sicherstellung der Schülerbeförderung in den ländlichen Gebieten und vor allem eine klare Perspektive für die Q11. Sollte das Kurshalbjahr für die Q11 am 26. März abgeschlossen sein, so muss es auch für diese Jahrgangsstufe kurzfristig möglich sein, die noch zu schreibenden großen Leistungsnachweise nachzuholen.

Weitere Themen, die derzeit für Aufregung sorgen
Beim Thema Lehrerdienstgeräte stellt sich mittlerweile heraus, dass nicht alle Lehrerinnen und Lehrer ein technisch adäquates Gerät bekommen können, das den heutigen hohen Anforderungen an Leistung und Sicherheit entspricht. Einige Lehrkräfte werden wohl leer ausgehen oder man begnügt sich von Seiten der Sachaufwandsträger mit billigeren Geräten, was wiederum zur Folge hat, dass die Kolleginnen und Kollegen weiter mit ihren besseren privaten Geräten arbeiten werden. Hier müsste dringend nachgebessert und der Ansatz für jedes Gerät deutlich erhöht werden. Die Faschingsferien hätten uns allen sicher gutgetan, um wieder durchatmen und in Ruhe das zweite Halbjahr planen zu können. Wir haben uns zusammen mit den anderen gymnasialen Verbänden dafür eingesetzt, die Ferien in die letzte Woche des Distanzunterrichts vorzuziehen. Mit der Rückkehr zum Wechselunterricht wurde die Diskussion über dieses Thema leider endgültig beendet.
Beim Thema Datenschutz im Distanzunterricht sind noch viele Fragen offen. Wir erwarten, dass hier umgehend Rechtssicherheit geschaffen wird. Allein die Tatsache, dass es nicht sicher ist, dass die Schulen MS-Teams über den März hinaus uneingeschränkt nutzen können, führt zu großer Verunsicherung. Bezüglich der illegalen Verbreitung von Film-, Foto und Tonaufnahmen aus dem Distanzunterricht hat das Staatsministerium vor kurzem in einem KMS die wichtigsten Dinge klargestellt. Dass diese Thematik an den betroffenen Schulen für große Aufregung sorgt, kann jeder nachvollziehen. Wieder ein sehr unangenehmer „Nebeneffekt“ der Corona bedingten Umstellungen im Schulsystem, mit dem sich die Schulleitungen zusätzlich beschäftigen müssen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die meisten von Ihnen werden sich mittlerweile ein dickes Fell zugelegt haben und Ihre Schule mit einer gewissen Routine durch die Krise steuern. Dennoch verstehe ich, dass viele von Ihnen vehement auf ein deutlich besseres und wertschätzenderes Kommunikationsmanagement mit uns Schuleiterinnen und Schulleitern drängen. Es war schon sehr befremdlich, dass man über Twitter erfährt, dass die Q12 nun doch in den Wechselbetrieb geht. Wie es weitergehen soll, ist wieder einmal kaum abzusehen. Die BayDV befürchtet im Laufe dieses Schuljahres noch einige Überraschungen. Wir erwarten, dass man die Erfahrungen und fachlichen wie organisatorischen Kompetenzen von uns Direktorinnen und Direktoren nicht nur zur Kenntnis nimmt, sondern unsere Expertise bei Entscheidungen auch berücksichtigt. Wer, wenn nicht wir können am besten voraussehen, welche Entscheidungen welche Auswirkungen und Folgen für alle Beteiligten haben werden. Wir werden uns im Namen der BayDV immer wieder dafür einsetzen, dass bestimmte Entscheidungen von den Gymnasien vor Ort getroffen werden können, um den lokalen Gegebenheiten besser Rechnung tragen zu können. Im Endeffekt wollen wir alle das, was die Gesellschaft von uns erwartet: Für unsere Schülerinnen und Schüler das Bestmögliche in diesen schwierigen Zeiten erreichen, keinen zurücklassen und die Hoffnung aufrechterhalten, dass es auch wieder eine Zeit nach Corona geben wird, mit Konzerten, Theateraufführungen, Schüleraustausch, Sommerfesten und vielem mehr.
Ich wünsche Ihnen weiterhin vor allem Gesundheit und ein gutes Durchhaltevermögen. Der Landesvorstand der BayDV und die Bezirksvorsitzenden freuen sich immer auf ein Feedback von Ihnen. Dieses gibt uns nicht nur die Möglichkeit, die Stimmung im Lande zu erfassen und bestimmte Entwicklungen frühzeitig zu erkennen. Es hilft uns auch, an höherer Stelle auf die Probleme und Sorgen der Direktorinnen und Direktoren der bayerischen Gymnasien aufmerksam zu machen und auf geeignete Lösungen zu drängen.
Mit besten Grüßen
Ihr
Walter Baier
Landesvorsitzender